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KZ-Verband/VdA Salzburg

Verband der AntifaschistInnen

Erich Mühsam

Schriftsteller, Dichter, Anarchist, Bohemien, Kabarettist

Erich Mühsam hat sich nicht gefügt; deshalb haben ihn die Schergen der SS als einen der Ersten in der Nacht vom 9. auf den 10. Juli 1934 im KZ Oranienburg brutal ermordet.

Kapitel im Beitrag:

Jugendjahre

Am 6. April 1878 wurde Erich Mühsam als Kind des Apotheker-Paars Siegfried Seligman und Rosalie Mühsam in Berlin geboren.

Sein Vater war ein Vertreter jener Art, die ihren Kindern Manieren mit dem Rohrstock beizubringen versuchten – militaristisch, nationalliberal und sehr autoritär.

Seine Schulzeit beschreibt Mühsam mit folgenden Worten:

 »In der Schule war ich faul wie die Sünde. Nie kam jemand auf den Gedanken, daß ich, dessen Gewecktheit und leichte Auffassung jeder bemerken mußte, falsch angefaßt wurde. Hätte ich verständnisvolle Lehrer – womöglich Privatlehrer – gehabt, ich hätte gern und mit Hingebung gelernt.

So wurde ich immer nur gehauen und gestraft, gestraft auch seelisch damit, daß ich nie teilnehmen durfte an Ausfahrten oder anderen Vergnügungen der Geschwister, gestraft durch geringschätzige Behandlung und wahrhaft raffinierte Mittel, ein kindliches Gemüt zu kränken.« *

aus »Mühsam: Tagebücher 1910-1924«, Eintrag: »Château d’Oex, Freitag, 2. September 1910«, Kapitel 1, Hrsg.: Chris Hirte, Verlag: dtv, München 1994

Mit 17 Jahren flog Mühsam 1896 wegen »sozialistischer Umtriebe« vom Gymnasium in Lübeck, da er in anonymen Briefen an die sozialdemokratische Zeitung einige Lehrer und den Direktor bloßgestellt hatte.

Sein Abitur schloss er darum im mecklenburgischen Parchim ab. 1901 absolvierte er eine Ausbildung als Apothekergehilfe in Lübeck.

Mühsam, der viel lieber Schriftsteller werden wollte, als in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, nutzte sogleich die Gelegenheit, in Berlin als Apothekengehilfe zu arbeiten, um dort Kontakte zu Gleichgesinnten zu knüpfen. Diese standen vor allem naturalistischen und anarchistischen Ideen nahe – so z.B. Bruno Wille, Bernhard Kampffmeyer oder John Henry Mackay.

Im selben Jahr gab er seinen Beruf endgültig auf und versuchte sich als freier Schriftsteller. Erste Texte und Gedichte »Die Wüste« veröffentlichte er in den Jahren 1903/04.

Über den Anschluss an die Berliner Schriftstellerzirkel lernte er den Anarchisten Gustav Landauer kennen. Durch Landauer, zu dem er eine starke Freundschaft aufbaute, kam er mit anarchistischen Ideen in Berührung.

Mühsam entwickelte sich zu einem radikalen Kritiker der gesellschaftlichen Verhältnisse und verdingte sich fortan als freier Schrifststeller.

Nationalsozialismus

Erich Mühsam, dessen antifaschistische Agitation sich seit Beginn der Naziherrschaft zunehmend verstärkt hatte, war den Nazis ein Dorn im Auge.

Einen Tag nach dem Reichstagsbrand wurde Mühsam zusammen mit 4000 anderen Nazigegner*innen verhaftet. Er hatte schon die Fahrkarten für seine Flucht aus Deutschland gekauft und hatte vorgehabt, am nächsten Tag zu fahren.

Nun begann für Mühsam eine Zeit der Folterungen und Misshandlungen. Er wurde 17 Monate lang von Ort zu Ort geschleppt.

Zunächst wurde Mühsam ins Gefängnis Lehrter Straße in Berlin gebracht. Hier saß er in sogenannter »Schutzhaft«. Am 6. April 1933 jedoch brach die SA in die »Schutzhaft« ein und verbrachte alle Häftlinge ins KZ Sonnenburg bei Küstrin, wo Mühsam und die anderen Männer aufs Schwerste misshandelt wurden.

Obgleich den Wachen sein geschwächter körperlicher Zustand und sein Herzleiden bekannt waren, musste Mühsam besonders schwere Arbeiten verrichten.

Sein Name war den Nazis ein Begriff.

Als radikaler Linker, Jude und Teilnehmer an der Münchner Räterepublik verkörperte Mühsam alles, was den Nazis verhasst war, weshalb er in den verschiedenen Gefängnissen und KZs besonders brutal misshandelt wurde.

Propagandaminister Joseph Goebbels sagte über ihn:

 »Dieses rote Judenaas muss krepieren.« *

Hinzu kam der Vorwurf, Mühsam wäre an der Geiselnahme und Erschießung von Mitgliedern der Thule-Gesellschaft zur Zeit der Münchner Republik beteiligt gewesen.

»Als Goebbels in seinem ›Angriff‹ im Dezember 1932 die Mordhetze gegen Mühsam mit der frechen Lüge eröffnete, er sei an dem sogenannten Geiselmord in München beteiligt, sagte mir Erich:

›Das ist die Vorbereitung für meine Ermordung.‹«

… schrieb Mühsams Frau Zenzl später über die Zeit.

aus »Rudolf Rocker: Der Leidensweg von Zenzl Mühsam«, Verlag: »Die freie Gesellschaft«, Frankfurt/M. 1949

Sie war es auch, die sich beim Berliner Oberstaatsanwalt um eine Verlegung mit verbesserten Haftbedingungen bemühte, was tatsächlich Früchte trug.

Mühsam kam ins Zuchthaus Plötzensee, wo er schreiben durfte und relative Ruhe hatte.

Derweil bemühte sich seine Frau Zenzl gemeinsam mit anderen weiterhin um seine Freilassung.

Sie schrieb Briefe an etliche Zeitungen mit dem Beleg für Mühsams Unschuld bezüglich des sogenannten Geiselmordes in München.

Mühsam war schon 17 Tage vorher verhaftet worden.

Doch die Wahrheit schien weder die Nazis noch die gleichgeschaltete Presse sonderlich zu interessieren.

Mühsam saß nicht in Haft wegen eines tatsächlichen Verbrechens, sondern ob seiner Überzeugung. Er sollte nicht gestehen, sondern gebrochen werden.

So kam Mühsam dann auch auf Geheiß eines Erlasses Hermann Görings ins KZ Brandenburg, wo ihn noch weitaus schlimmere Qualen erwarteten als in Sonnenburg.

Jeden Tag und bei jedem Wetter mussten die Häftlinge morgendliche »Turnübungen« und schwerste Arbeiten verrichten, deren einziger Sinn darin bestand, die ohnehin völlig entkräfteten und unterernährten Gefangenen immer weiter zur völligen Erschöpfung zu bringen.

Nach monatelangen Qualen wurde Mühsam schließlich ins KZ Oranienburg gebracht.

Hier gelang es ihm, sich mit anderen Häftlingen zu solidarisieren – ein Hoffnungsschimmer, der nur kurze Zeit währte.

Am 1. Juli 1934 wurde das Lager nach der Entmachtung der SA von der SS übernommen. Die neuen Befehlshaber kamen aus Bayern und kannten Mühsam gut als »Geiselmörder«.

Kommandant Eicke (späterer Oberinspektor über alle KZs) legte ihm nahe, sich binnen zwei Tagen selbst umzubringen, sonst helfe er nach.

Diesen Gefallen jedoch wollte Mühsam den Nazis nicht tun. Er fügte sich nicht – ein letztes Aufbäumen.

Zwei Tage später fanden seine Mithäftlinge ihn erhängt in der Latrine.

Er wurde ermordet – der Selbstmord war fingiert.

Dem Tod entgegenzusehen und sich nicht zu beugen – das war Erich Mühsams letzte politische Tat.

Am 9. Juli, also schon einen Tag vor seinem Tode, meldete das amtliche Deutsche Nachrichtenbüro:

»Der durch seine Teilnahme am Münchner Geiselmord bekannte sozialdemokratische Schriftsteller Erich Mühsam, der sich in Schutzhaft befand, hat seinem Leben durch Erhängen ein Ende gesetzt.«

aus  »Erich Mühsam Lesebuch« aus Soz – Sozialistische Zeitung, Dieter Braeg, Nr. 06/2014

Als die Mitgefangenen ihn auf einer Bahre in den Hof schoben, erhoben sich alle anderen Gefangenen, einige verneigten sich.

Ein weiterer Mitgefangener Mühsams sagte:

»Es war die erschütterndste Trauerfeier, die ich jemals mitgemacht habe und erleben werde, als ich sah, wie diese 250 Mann, die jeder Zeit auf derselben Bahre liegen konnten, aufstanden, um ihre Erfurcht zu bezeugen.«

aus  »10. Juli 1934 – Ihr Kameraden im Tod – Erich Mühsam« Radio Chiflado, 12.06.2012

Manchen wird jetzt erst klar, dass sie ihn, den Einzelkämpfer, als er noch lebte zu wenig ernst genommen haben. Mit seinem Tod hat Mühsam etwas von dem erreicht, wofür er sein Leben lang gearbeitet hat: Dass man seine Gesinnung, seinen Idealismus, seinen kleinen Beitrag zum Ganzen anerkennt, dass alle, die die Welt verändern wollen, einig mit ihm sind in dieser Absicht und den Meinungsgegensatz für dieses Ziel zurückstellen.

Nur wenige kommen zu seiner Beerdigung am 16. Juli 1934 auf dem Waldfriedhof Dahlem. Es wäre leichtfertig, unter den Augen der Nazis Mühsam die letzte Ehre zu erweisen.

Die Emigranten und Antifaschist*innen, die in Deutschland geblieben sind, wissen auch so, was sie ihm schuldig sind. Solange sie es wissen, hat Mühsam, der erfolglose und einsame Rebell, nicht umsonst gelebt.

Sich nicht zu fügen und dem sicheren Tod ins Auge zu sehen – das war Erich Mühsams letzte politische Tat.

In all ihrer Grausamkeit hatten die Nazis doch keine Macht über ihn und das machte sie wütend. Seinen Körper konnten sie brechen, seinen Geist jedoch nicht.


Jenes Menschen, der bis zum Ende seine Haltung bewahrte, der sich auch nach 17 Monaten Folter weigerte, seinen Peinigern das Horst Wessel-Lied zu singen, und stattdessen die Internationale sang, wollen wir gedenken

 »Und ich beuge mich nicht … beuge mich nicht!«

Erich Mühsam bleibt unvergessen.

* Joseph Goebbels soll über Mühsam gesagt haben »Dieses rote Judenaas muß krepieren« aus »Erich Mühsam. Trotz allem ein Mensch sein. Gedichte und Aufsätze«, Hrsg.: Hanne Maußner / Jürgen Schiewe, Verlag: Reclam, Stuttgart 2003 (Erstauflage 1984), S. 191

Zenzl Mühsam

Bei der Erinnerung an Erich Mühsam wird seine Frau viel zu oft vergessen.

Doch nahezu allein ihrem Kampf um sein Erbe ist es zu verdanken, dass Erich Mühsams Werk heute in dem Umfang zugänglich ist.

Kreszentia »Zenzl« Elfinger wurde 1884 geboren und heiratete 1915 Erich Mühsam.

An seiner Seite war sie 1918/1919 eine der Aktivsten im Kampf um die Münchner Räterepublik.

Nachdem sie nach deren Zerschlagung als eine der wenigen von längerer Haft verschont blieb, engagierte sie sich für die Freilassung der politischen Gefangenen der Münchner Räterepublik, zu denen auch ihr Mann zählte.

Nach dem Tod von Erich Mühsam floh sie 1935, entgegen seinem Rat, über die Tschechoslowakei nach Moskau.

Zwar gelang es Zenzl Mühsam so ,den Nachlass vor der Vernichtung zu retten, doch ihre fortwährende politische Betätigung und ihr Einsatz um eine posthume Veröffentlichung des noch nicht publizierten Werkes ihres Mannes führten dazu, dass sie bald als »trotzkistische Spionin« verhaftet wurde.

Von da an verbrachte Zenzl Mühsam, mit kleinen Unterbrechungen, 20 Jahre im Gulag, in Haft oder ohne Obdach.

Erst sieben Jahre vor ihrem Tod, im Jahr 1955, bekam sie ihren Pass zurück und damit die Erlaubnis, in die DDR auszureisen. Hier setzte sie sich weiterhin unermüdlich für eine Veröffentlichung von Erich Mühsams Erbe ein – doch ohne Erfolg.

Bis zum Ende ihres Lebens stand sie unter Beobachtung der Staatssicherheit, welche auch ein umfangreiches Schweigegebot zu ihrer Zeit in der Sowjetunion beinhaltete.

Am 10. März 1962 starb Zenzl Mühsam in Berlin-Pankow.

Nach der Wiedervereinigung wurde ihr Grab mit dem ihres Mannes in Berlin-Dahlem zusammengelegt.

Erich Mühsam – Ein Kurzüberblick

 Soziale/Regionale Herkunft: 

Eltern: Siegfried Seligman und Rosalie Mühsam (Apotheker in Lübeck);

Letzter Wohnort vor Verhaftung:

München (1919); Dörchläuchtingstr. 48,

Berlin-Britz (1933)

Ausbildung/Berufstätigkeit:

Gymnasium Lübeck (wegen »sozialistischer Umtriebe« relegiert) Abitur in Parchim Apothekerlehre freier Journalist und Publizist mehrerer Zeitschriften »Kain«, »Fanal«

Mitgliedschaft und Funktionen in der Gewerkschaftsbewegung:

1912 – 1931 Mitglied im Schutzverband Deutscher Schriftsteller
ab 1933 Mitglied der FAUD

Erinnerungskultur/Ehrungen:

Ehrengrab der Stadt Berlin, Waldfriedhof Dahlem;

Gedenkstein vor Mühsams ehemaligem Haus in Berlin-Britz;
Gedenkstein auf dem Gelände des ehemaligen KZ Oranienburg, Berliner
Str. 45a;

diverse Erich-Mühsam-Straßen und -Plätze in deutschen Städten;
Stolperstein für Erich Mühsam vor dem Buddenbrookhaus in der Lübecker Mengstr. 4;

Erich-Mühsam-Gesellschaft;
Erich-Mühsam-Preis;

Tarnname des 8. Artillerieregiments der NVA »Erich Mühsam«

Haft in Konzentrationslagern, Zuchthäusern und Gefängnissen:

06.1910: Untersuchungsgefängnis München

24.04.1918- 31.10.1918: Festungshaftanstalt Traunstein
13.04.1919- 07.1919: Zuchthaus Ebrach
12.07.1919- 10.1920: Festungshaftanstalt Ansbach
10.1920- 21.12.1924: Festungshaftanstalt Niederschönenfeld
27.02.1933- 06.04.1933: Zellengefängnis Lehrter Str.
06.04.1933- 31.05.1933: KZ Sonnenburg
31.05.1933- 08.09.1933: Gefängnis Plötzensee
08.09.1933- 02.02.1934: Zuchthaus Brandenburg
02.02.1934- 10.07.1934: KZ Oranienburg

Erich Mühsam – eine anarchistische Revue

Texte die Angst machen, mitreissende Lieder und ein einfühlsames Sounddesign. Ein Erfolg vor dem anspruchsvollen Publikum der Kritischen Literaturtage (05.07.2017)

Empfehlung:

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Erich-Mühsam-Revue

Zusammenstellung aus Schriften von und zu Erich Mühsam, herausgegeben von Maren Rahmann und Dieter Braeg. Vertonung der Mühsam-Gedichte von Maren Rahmann (Stimme und Akkordeon), begleitet von Didi Disko (Gitarre, Trommel, Synths). Broschüre + Audio-CD (15 Stücke) 1. Auflage 2016. 2. Auflage 2017

KZ-Verband/VdA – ST – im Jänner 2023

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